Das Kurhaus

Kurhaus auf einer Postkarte von 1900

Berliner Bankiers investierten mit der „Ostseebad Binz AG“ in den Ausbau des Seebades und ließen ein Kurhaus bauen, das am 22. Juli 1890 eröffnet wurde. Zu den ersten Gästen gehörte Kaiserin Auguste Viktoria. Das aus Fachwerk gebaute Haus brannte am 1. Mai 1906 ab. Im Sommer 1907 beschloss der Gemeinderat, den Neubau des Kurhauses aus Stein nach den Plänen des Berliner Baumeisters Otto Spalding. Das Gebäude wurde zu einem Wahrzeichen des Seebades.

In den 1920er Jahren verkaufte die Gemeinde das Kurhaus zusammen mit dem Hotel Kaiserhof für 165.000.000 Reichsmark an Adalbert Kaba-Klein. Das Kurhaus mit Varieté, Kasino und Kakadu-Bar besuchten zu dieser Zeit wohlhabende Gäste wie Industrielle, Ärzte, Juristen und Künstler.

Die Nationalsozialisten betrieben die Enteignung von Kurhaus-Inhaber Kaba-Klein. Im Zuge der „Arisierung“ wurde 1938 das Kurhaus an deutsche Zwangstreuhänder übergeben und später verkauft. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 nahm die Zahl der Urlauber ab, später suchten auch Bombenopfer und Flüchtlinge Zuflucht in Binz. Das Kurhaus hatte den Krieg unbeschädigt überstanden und russische Soldaten und Flüchtlinge wurden einquartiert. Der vertriebene Besitzer Kaba-Klein kehrte zurück, das Landgericht Greifswald sprach ihm das Kurhaus wieder zu. Weil Kaba-Klein angeblich Verpflegungsrationen der Bergleute an Schweine verfütterte, wurde er im Rahmen der Aktion Rose 1953 enteignet und zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. 1955 übernahm die NVA das Kurhaus als Erholungsheim für Offiziere und länger dienende Soldaten.

In den 1960er Jahren übernahm das Reisebüro der DDR das Kurhaus. Damit stand es auch für alle Binzer Gäste wieder offen. Die Terrasse wurde wieder mit Gastronomie bewirtschaftet und ein Intershop entstand. Im Kurhaus-Saal fanden Großveranstaltungen wie SED-Konferenzen und die Eröffnung der Fährverbindung Mukran-Klaipeda statt.

Nach der Wende gehörte das Kurhaus zur „Travel Gruppe“ in Berlin, die aus den ehemaligen Reisebürohotels entstanden ist. Die Resort Hotel GmbH kaufte später die Hotels von der Treuhand, die Travel Charme GmbH übernahm den Betrieb. Nach den ursprünglichen Plänen des Baumeisters Spalding wurde das Kurhaus rekonstruiert und modernisiert. Zugleich wurde der Kaiserhof neu gebaut und durch Lobby und Café Glashaus mit dem Kurhaus verbunden. Als erstes Hotel Mecklenburg-Vorpommerns erhielt es die Auszeichnung „Fünf-Sterne-Superior“. Diese Auszeichnung gab das Hotel im Jahr 2012 zurück und ist seit dem nicht mehr nach der offiziellen Hotelsterne-Einstufung des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands zertifizier

Ulrich Müther (* 21. Juli 1934 in Binz; † 21. August 2007 ebenda) war ein deutscher Bauingenieur und Bauunternehmer. Er entwarf und baute etwa 74[1] Schalen-Bauwerke, in der Fachsprache: doppelt gekrümmte Beton-Schalentragwerke, und wurde dadurch zu einem bedeutenden Repräsentanten der architektonischen Moderne.

Biografie

Ulrich Müther wurde als älterer von zwei Söhnen des Architekten Willy Müther geboren,[2] der seit 1922[3] das Baugeschäft Willy Müther führte.[4] Sein Vater starb kurz nach dem Zweiten Weltkrieg an dessen Folgen, so dass dessen Frau Elisabeth das Baugeschäft weiterführte.[2]

Ausbildung

Müther absolvierte nach der Volksschule eine Lehre als Zimmermann und arbeitete ein Jahr als Geselle.[3] Einem Unternehmersohn war es damals nur als Arbeiter möglich gewesen, einen Studienplatz zu erhalten. Erst danach konnte er von 1951 bis 1954 Konstruktiven Ingenieurbau an der Ingenieurschule für Bauwesen Neustrelitz studieren, das er als jüngster Absolvent beendete. Eine erste Anstellung erhielt Müther von 1954 bis 1958 als Mitarbeiter im Entwurfsbüro für Industriebau in Berlin, das dem Ministerium für Aufbau der DDR unterstand.[2] Dort war er an der Projektierung von Kraftwerksbauten beteiligt und vor allem mit der Planung von Kühltürmen beschäftigt.[5] Währenddessen machte er ab 1956 bis 1963 ein Fernstudium an der Technischen Universität Dresden.

Sein Studienfreund und Architekt Ingo Schönrock (1933–2009)[1] schlug ihm nach dem Besuch eines Vortrages bei dem Pionier des Betonschalenbaus Félix Candela vor, dass Müther seine Diplomarbeit der Hyperbolischen Paraboloidschale widmete. Müther war davon fasziniert, später nannte er die „hyperbolischen Paraboloide“ kurz „Hyparschalen“. Diese bestanden aus einem Netz von Stahlträgern, das aus Geraden zweifach gekrümmte Flächen erzeugt. Damit kann eine Hyparschale auch mit geraden Brettern eingeschalt werden.[6]

Bei seinem ersten Bauprojekt handelte es sich zunächst um die Terrassenüberdachung, schließlich um den 200 m² großen Mehrzwecksaal des Ferienheimes Haus der Stahlwerker [7] in Binz für die Arbeiter des VEB Stahl- und Walzwerks Riesa (nach der Wende abgerissen, heute Hotel Vier Jahreszeiten).[2] Der Betreuer seiner Diplomarbeit an der TU Dresden, Hermann Rühle, vermittelte ihn an Reinhard Rabich am Lehrstuhl für Stahlbetonbau in Berlin. Rabich beschäftigte sich mit Membrantheorien für einschalige hyperbolische Rotationsformen, die noch heute bei Kühltürmen zur Anwendung kommen.[5] Rühle beschaffte ihm darüber hinaus ausländische Fachliteratur.[2]

Unternehmensleiter

1958 übernahm er die technische Leitung des familieneigenen Bauunternehmens. Das Familienunternehmen war bereits 1953 im Rahmen der Aktion Rose durch die sozialistische Staatsmacht enteignet, nach dem 17. Juni 1953 aber zunächst wieder zurückgegeben worden. 1960 erhielt das Unternehmen die Rechtsform einer Produktionsgenossenschaft des Handwerks, 1972 wurde es verstaatlicht und zum VEB Spezialbetonbau Rügen. Müthers Spezialisierung auf den Schalenbau mit dem Betonspritzverfahren konnte verhindern, dass sein Unternehmen 1972 in ein Baukombinat eingegliedert wurde.[8] [9] 1990 wurde der volkseigene Betrieb an Müther rückübertragen.[10] Im Jahr 1999 musste das Unternehmen Müther GmbH Konkurs anmelden. Dessen ungeachtet war Müther ein vielgefragter Teilnehmer auf Kongressen und Fachtagungen.[11]

Sowohl in der DDR als auch nach der Wiedervereinigung war Müther ein Einzelgänger unter den Bauingenieuren, er selbst nannte sich selbstironisch und zurückhaltend einen „Landbaumeister von Rügen“. Sein lebenslanger Lehrmeister blieb für ihn Félix Candela (1910–1997).[12] Müthers Firmen-Signet besteht aus zwei aneinandergefügten und steil aufragenden Hyparschalen,[13] die dem Längsschnitt der Kirche San José Obrero in Monterrey (Mexiko) von Félix Candela und Enrique de la Mora (1960) entsprechen.[14]

Familie

Grabstein Müthers auf dem ev. Friedhof in Binz mit dem Signet des VEB Spezialbetonbau Rügen.

1995 gründete Müther die Christian-Müther-Stiftung „Segeln mit asthmakranken Kindern“. Er benannte sie nach seinem einzigen Sohn und Augenarzt Christian, der am 20. November 1989 an den Folgen eines Asthma-Anfalls starb.[2] Asthmakranke Kinder können unter ärztlicher Aufsicht an einem dreitägigen Segeltörn teilnehmen. Ursprünglich gehörte das Segelboot Wernher von Braun. Müther holte es mit seinem Sohn Christian aus dem Schlick und restaurierte es.[8] Im Juli 2014 wurde die 25. Christian-Müther-Gedächtnisfahrt unternommen, die bis dahin 5.000 Kindern ermöglicht werden konnte. 2018 beteiligten sich an dem Segeltörn insgesamt fünfzehn Boote aufgrund der Unterstützung von zahlreichen Spendern und Ehrenamtlichen.[15] Ulrich Müther war mit Astrid von Zydowitz verheiratet.[16]

Ehrungen

Im Ostseebad Binz wurde am 3. Oktober 2015 ein Platz an der Strandpromenade nach Müther benannt.[17]

Anlässlich der 700-Jahr-Feier von Binz im Jahr 2018 wurde Müther mit einer Themenwoche vom 17. bis 21. September 2018 geehrt. Exkursionen, kostenfreie Vorträge und eine Ausstellung erinnerten an den Binzer Müther.[18]

Am 18. Oktober 2018 erhielt der Teepott in Warnemünde eine Ehrung von der Bundesingenieurkammer als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“.[19] Seit 2007 zeichnet die Bundesingenieurkammer historisch bedeutende Ingenieurbauwerke aus, bisher wurden damit 22 deutsche Bauwerke gewürdigt.[20]

Müther-Archiv

Sein umfangreiches Archiv wird seit 2006 von der Hochschule Wismar betreut[21] und ab 2012 von Architekturprofessor Matthias Ludwig geleitet.[22] 2014 begann er mit der Herausgabe einer Schriftenreihe zu Müthers Werk.[23] Im April 2017 begann ein vom Bundesbildungsministerium mit rund 470.000 Euro gefördertes Kooperationsprojekt der Hochschule Wismar und des Archivs der Akademie der Künste in Berlin, das den Nachlass Müthers erschließen soll. Die Hochschule Wismar stellt außerdem 250.000 Euro für Baumaßnahmen und Ausstattung bereit.[24] Für die Sichtung, Erschließung und Digitalisierung der Archivalien wurde eine Archivarin eingestellt.[22] Ein Projekt zur Digitalisierung von Müthers Bauplänen soll ebenfalls 2020[25] abgeschlossen sein. 2018 hat die Papierrestauratorin Susanne Grzimek die ersten 35 Bauzeichnungen Müthers restauriert.[26] Die Baupläne werden danach ins Internet gestellt.[27]

Bauten

Rettungsstation in Binz
1968 errichtet, 2004 und 2018 saniert, heute ein Trauraum des Standesamts.

Der Betreuer seiner Diplomarbeit an der TU Dresden, Hermann Rühle, war im Nationalen Komitee der IASS (International Association for Shell and Spatial Structures), die 1959 von Eduardo Torroja gegründet worden war. 1966 lernte er auf einer Bauausstellung in Budapest die Schalenbauer Jörg Schlaich, Josef Eibl, Stefan Polónyi und Heinz Isler kennen.[28] Diese Begegnungen inspirierten und ermutigten ihn zu neuen Versuchen mit Modellbauten aus Segeltuch und zu Gussformen aus Sandhügeln.[28]

Müthers erste selbsttragende Hyparschale war die Messehalle Bauwesen & Erdöl für die alljährliche Ostseemesse in Rostock-Schutow. Diese Doppelhalle entstand 1966 in Zusammenarbeit mit dem Rostocker Architekten Erich Kaufmann. Da Kaufmann auch der Architekt für das örtliche Wohnungsbaukombinat war,[5] verschaffte er Müther eine Reihe von Folgeaufträgen.[1]

1968 vermittelte ihm der westdeutsche Bauingenieur Jörg Schlaich einen Studienaufenthalt in Stuttgart. Die Essener Firma Torkret stellte ihm eine Spritzbeton-Maschine für Versuchszwecke zur Verfügung.[2] Diese Maschine war für das Trockenspritzverfahren ausgelegt und kam erstmals 1968 beim Bau der Mehrzweckhalle in Rostock-Lütten Klein zum Einsatz.[1] Die Rennrodelbahn Oberhof (1969/70) ist ebenso seine Konzeption. Müther entwickelte für die Rennrodelbahn Oberhof das Nassspritzverfahren, das sich auch für schalungsloses Spritzbetonieren eignete.[1] Der Bewehrungsstahl wurde hier beidseitig durch ein feinmaschiges Drahtgewebe (Kaninchendraht) flankiert, wodurch der Spritzbeton schalungsfrei aufgetragen werden konnte.[3] Durch die Vermittlung des damals in West-Berlin lebenden Tragwerksplaners Stefan Polónyi erwarb Müther in Hessen eine Nassspritzmaschine, für die ihm eine Ausreisegenehmigung erteilt wurde.[1]

Vor allem an der Ostseeküste errichtete Müther eine Reihe spektakulärer Bauten wie etwa das Strandrestaurant Ostseeperle in Glowe (1968) als angekippte Hyparschale, deren Fensterfront sich zur See hin öffnet,[29] den Teepott in Warnemünde und die Seenot-Rettungsstation in Binz. Die von ihm 1969 in Magdeburg erbaute Hyparschale steht seit 1990 unter Denkmalschutz. In Potsdam baute Müther das achtschalige See-Restaurant „Seerose“ als dafür vorgesehenen Kontrast und Auflockerung zu den umliegenden Plattenbauten.[30] Müthers Bauwerke wurden für die DDR ein wichtiger Exportartikel, so baute er u. a. eine Moschee in Jordanien und eine Reihe von Zeiss-Planetarien in Kuwait, Tripolis und Helsinki. Auch in Wolfsburg entwarf und baute er von 1981 bis 1983 die Kuppel des Zeiss-Planetariums, wofür im Gegenzug die Volkswagen AG 10.000 Pkws vom Typ VW Golf in die DDR lieferte.[8]

Nach 1990 waren einige der von ihm errichteten Gebäude mangels Nutzung vom Abriss bedroht und verfielen, wie etwa die Hyparschale in Magdeburg.[31] Müther nahm daher selbst die Sanierung einiger seiner Bauten an der Küste in die Hand. Nach zehn Jahren Leerstand sanierte und baute 2002 ein Rostocker Investor das ehemalige Restaurant und Warnemünder Wahrzeichen Teepott innerhalb eines halben Jahres für rund 7,5 Mio. Euro zu einem Mehrzweckgebäude um und bewahrte das Baudenkmal vor dem Abriss.[32] Der Innenraum wurde jedoch unterteilt, so dass das freitragende Dach nun scheinbar auf den Zwischenwänden aufliegt. Überregionales Aufsehen erregte der Abriss der Großgaststätte Ahornblatt in Berlin im Jahre 2000, die trotz Denkmalschutz einer konventionellen Neubebauung weichen musste.

Die Zweckbauten Müthers waren nach Ansicht des Architekturkritikers Wolfgang Kil für eine Betriebsgröße konzipiert, die nach der Wende im Allgemeinen nicht mehr profitabel für private Investoren war.[33] Da die öffentliche Hand und das Bundesvermögensamt in der Regel nur von privaten Investoren eine Nutzung erwarteten und keine eigenen Konzepte entwickelten, sind viele der Gebäude vom Verfall bedroht. Nach Angaben von Matthias Ludwig, dem Leiter des Müther-Archivs, sind bis 2018 rund 30 Bauten Müthers abgerissen worden.[34]

Müthers Schalenbauweise war zeitaufwendig, aber materialsparend, und entsprach daher den wirtschaftlichen Bedingungen der DDR. In der Bundesrepublik waren dagegen das Baumaterial günstig und die Arbeitskräfte teuer, daher blieben dort Schalenbauten nur eine „unwirtschaftliche Randerscheinung“.[35]

Seit 2016 wurden drei Bauten Müthers saniert. Die Wüstenrot Stiftung finanzierte die Restaurierung der Kurmuschel in Sassnitz, einem muschelförmig auskragenden Halbdach für Freiluftveranstaltungen.[36] Außerdem ließ die Wüstenrot Stiftung den UFO-förmigen Rettungsturm in Binz sanieren.[37] Seit Mai 2018 steht das Bauwerk wieder für Hochzeiten zur Verfügung.[38] Die Hyparschale in Templin wurde 2016 in das Denkmalförderprogramm des Kulturministeriums von Brandenburg aufgenommen.[39]

Werkschau